Heute Nachmittag Ende November war die Meerenge von Bonifacio der Ort einer Theateraufführung für unverbesserliche Träumer.

Wegen eines abgesagten Termins in Porto-Vecchio führt mich mein Weg von Norden nach Süden in Richtung Pertusatu-Straße. Über der Meerenge treffen die schrägen Sonnenstrahlen auf die korsische Küste und zwingen mich anzuhalten.

In Stadtkleidung laufe ich schnell und entschlossen zum Rand der Steilküste über einen kleinen Weg mit weißem Kies und Steinen. Ich muss aufpassen, dass an meiner Hose die aggressiven Äste des Wacholders, die den Weg säumen, nicht hängenbleiben. Auch an die perfekt runden Kissen der Astragale mit ihren scharfen Nadeln habe ich schmerzliche Erinnerungen.

Mit derselben Vorsicht nähere ich mich weiter dem Rand der Steilküste, mein Blick schweift über die Meerenge, die die Geheimnisse der Witterung birgt.

 

 

Immens ist die Auslegung dessen was man fühlt. Heute Nachmittag wurde die Straße von Bonifacio zu einer besonders erstaunlichen theatralischen Parade.

Und diese Parade scheint das Podium der Modehäuser der Hauptstadt verlassen zu haben, um eine natürliche Umwelt-Szenographie zu den Herausforderungen der UN-Klimakonferenz, die in 3 Tagen in Paris stattfindet, zu inszenieren.

Die Wolken rivalisieren an Einfallsreichtum, mit den verschiedensten Ausdrücken, Formen, Variationen von Farben, Strukturierungen, Verknüpfungen, und verleihen der Landschaft einen schwindelerregenden Rhythmus.

Ausgefranste Baumwollkugel, leuchtender Seidentaft, gekräuselter Wolljacquard, Popeline aus Knitterbaumwolle, Bündel aus gekrempelter oder gekämmter Wolle, rohes raues Leinen, weiches pudriges Kaschmir, fusselige Baumwolle, Lamé aus Damastseide oder auch Voile aus durchsichtigem Schaumcrepe – alle diese imaginären Materialien formen sich zu diesem Areopag und versuchen, meinen Blick einzufangen.

Was für kapriziöse Fantasiestoffe treffen auf meinen Geist…

 

 

Aus einem Meer, so düster wie ein bewegter Ozean, zum Himmel mit seinem intensiven Blau scheint der Dirigent dieser Verstellung versucht zu haben, alles einzusetzen, was dieses Défilé noch sichtbarer aus der Nähe und aus der Ferne machen kann, in einer ausgeklügelten Wolkenchoreographie unter Verwendung echter Dekors mit Lichtspielen und ganz natürlichen Tönen.

Ich beobachte die fürs bloße Auge nicht sichtbare sardische Küste durch meinen Apparat mit 200 mm Brennweite. Welch fantastische Parade! Ich sehe die zerklüftete Granitküste von Nordsardinien wie mit weißem Faden aus Schaum genäht, beleuchtet von den kräftigen Strahlen eines Sonnenprojektors. Ein leichter Nebel aus Leinenbatist mystifiziert den Horizont. Die Szene spielt sich in 12 Kilometern ab.

Ein vergängliches Schauspiel. Es möchte das Universum des Schöpfers mit allen Mitteln transkribieren. Und das von mir bescheiden vertretene Publikum ist in dieses schöpferische Universum eingetaucht, das fast der lebendigen Kunst ähnelt.

Vertikal legt sich eine zarte Seidensatin-Chantilly-Spitze sanft auf den Fuß der Steilküste und verkleidet und entkleidet jeden einzelnen Felsen mit der Bewegung der Schaumwalzen in einem gleichzeitig krachenden und quälenden Lärm. Und wie bei jeder Parade kommt jetzt der erwartete Höhepunkt dieser Kollektion.

Eine riesige Wolke, wie ein Gespenst mit einem Wolltuch, struppig und zerzaust durch unsere vielen Umweltabsurditäten, scheint mit ihrem drohenden Hochzeitskleid eine Botschaft an die 150 Staatsoberhäupter des Planeten zu richten, die eine Einigung finden sollen, um die Klimaerwärmung zu begrenzen.

Sie kann die Grenzen überschreiten und ihre Botschaft international verkünden; sie möchte die Parabel zwischen unseren Bestrebungen und unseren unersättlich aggressiven Trieben sein, gleich mit welchen Folgen auf den Lauf der Natur.

Hallo Paris, Botschaft erhalten …? Die Parade der Meerenge ist beendet!

Bonifacio, Korsika, Frankreich